Definition und Ursprung
Die Lehre von der „Frucht des vergifteten Baums“ ist ein grundlegendes Rechtsprinzip, wonach jegliche Beweise, die rechtswidrig – insbesondere durch Verletzung von Grundrechten – erlangt wurden, als kontaminiert und daher in einem Gerichtsverfahren unzulässig zu betrachten sind. Dieses Konzept entstand in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten im Jahr 1920, insbesondere im Fall Silverthorne Lumber Co. v. United States. Die Doktrin wird durch eine Metapher veranschaulicht: Wenn die Quelle, der „Baum“, aus der die Beweise stammen, kontaminiert ist, dann sind auch die „Früchte“ dieses „Baums“ kontaminiert. Der Name der Doktrin findet seine Inspiration in biblischen Texten, wie Matthäus 7:17–20: „So bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber ein schlechter Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann keine schlechten Früchte tragen, und ein schlechter Baum kann keine guten Früchte tragen. Jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.“
Erste Rechtsprechung und Umsetzung in Spanien
Die erste Entscheidung, die explizit auf die „Frucht des vergifteten Baums“ Bezug nahm, erging im Fall Nardone v. United States am 11. Dezember 1939. In diesem Fall, der die Abhörmaßnahmen gegen einen Alkoholschmuggler betraf, wurde festgelegt, dass der Richter den Angeklagten die Möglichkeit einräumen muss, nachzuweisen, dass ein wesentlicher Teil der Anklage aus einer rechtswidrigen Quelle stammte. Rechtlich bedeutet dieses Prinzip, dass rechtswidrig erlangte Beweise nicht nur unzulässig sind, sondern auch für null und nichtig erklärt werden müssen.
Im spanischen Rechtssystem wurde die Doktrin der „Frucht des vergifteten Baums“ 1984 durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts (STC 114/1984) verankert, in der festgestellt wurde, dass Beweise, die durch Verletzung von Grundrechten, wie Freiheit und Privatsphäre, erlangt wurden, nicht berücksichtigt werden dürfen. Aus dieser Entscheidung entstand eine wesentliche gesetzliche Vorschrift: Art. 11 Abs. 1 des Organischen Justizgesetzes (LOPJ) von 1985, der besagt: „In allen Verfahrensarten sind die Grundsätze von Treu und Glauben zu wahren; Beweise, die direkt oder indirekt durch Verletzung von Grundrechten oder -freiheiten erlangt werden, sind unwirksam.“ Demnach gilt jeder Beweis, der durch eine rechtswidrige Handlung erlangt wurde, als ungültig, und die Nichtigkeit erstreckt sich auf alle anderen Beweise, die direkt oder indirekt daraus abgeleitet sind.
Ein bedeutender Fall, in dem diese Doktrin angewandt wurde, ereignete sich im Januar 2023: Zwei Personen, die wegen Drogenhandels angeklagt waren, wurden freigesprochen, da der vom Ermittlungsrichter ausgestellte Durchsuchungsbeschluss auf unzureichenden Informationen der Polizei beruhte, die lediglich auf Verdacht beruhten. Richter Fernández-Montells stellte in seinem Urteil 172/2022 vom 21. September fest: „Die Ermächtigungsanordnung erfüllt nicht die Anforderungen für ihre prozessuale Rechtmäßigkeit, da keine rationalen Anhaltspunkte vorliegen, auf deren Grundlage die Einschränkung von Rechten erfolgen könnte. Diese auf diese Weise erlangten Beweise verstoßen gegen verfassungsrechtliche Vorgaben und sind daher rechtswidrige Beweise, die Grundrechte verletzen.“
Die Doktrin der „Frucht des vergifteten Baums“ besagt, dass jeder Beweis, der direkt oder indirekt aus einer rechtswidrigen Quelle stammt, ebenfalls null und nichtig ist. Dies bedeutet, dass kontaminierte Beweise illegitim werden und die Nichtigkeit aller daraus unmittelbar abgeleiteten Beweise nach sich ziehen. Fälle, in denen Grundrechte wie das Recht auf Privatsphäre, das Fernmeldegeheimnis oder die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 18 der spanischen Verfassung) verletzt werden, fallen ebenfalls unter diese Doktrin.
Ausnahmen
Die Anwendung dieser Doktrin ist jedoch nicht absolut, und es bestehen Ausnahmen wie die „Inevitable-Discovery“-Doktrin, die „Independent-Source“-Doktrin und die „Attenuation“-Doktrin. Die Inevitable-Discovery-Doktrin greift, wenn die Umstände unweigerlich zum gleichen Ergebnis geführt hätten, wodurch eine kausale Verbindung zwischen dem zweiten Beweisstück und dem vorherigen unmöglich wird. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (STS 885/2002 vom 21. Mai) besagt: „Jedes Ergebnis, das auch eingetreten wäre, wenn eine seiner Bedingungen nicht eingetreten wäre, ist nicht das Ergebnis dieser Bedingung.“
Die Independent-Source-Doktrin bezieht sich auf das Vorliegen eines anderen, unverfälschten Ermittlungswegs, der es ermöglicht, Beweise auf anderem Wege zu erlangen als durch die rechtswidrige Quelle.
Schließlich geht die Attenuation-Doktrin, auch als „Taint-Attenuation“-Doktrin bezeichnet, von der Verfassungsgerichtsdoktrin zur Verbindung von Rechtswidrigkeit oder Auswertungsverbot aus, verstanden als rechtliche Verbindung zwischen einem Beweisstück und einem anderen. Das Verbot ist verfassungsrechtlich verankert, um die Verwendung von Beweisen, die durch Verletzung von Grundrechten erlangt wurden, zu verhindern, und gesetzlich in Art. 11 Abs. 1 LOPJ umgesetzt.
Jüngster Fall
Die Doktrin der „Frucht des vergifteten Baums“ hat in Spanien in jüngster Zeit besondere Relevanz erlangt. Die Zivil- und Strafkammer des Obersten Gerichts Madrid (TSJM) hob ein Urteil von 15 Jahren, 1 Monat und 1 Tag gegen Daniel H. auf, da die Hauptbeweismittel – Bilder von seinem Mobiltelefon – rechtswidrig erlangt worden waren. Das erstinstanzliche Urteil des Provinzgerichts Madrid beruhte auf Fotografien, die ohne Einwilligung des Angeklagten beschafft wurden, und damit gegen Grundrechte auf Privatsphäre und Intimsphäre verstießen. Das Berufungsgericht erklärte die Nichtigkeit nicht nur dieser Bilder, sondern aller daraus abgeleiteten Beweise, einschließlich späterer Ermittlungen und Identifikationen, und sprach Daniel H. frei.
Schlussfolgerung
Die Doktrin der „Frucht des vergifteten Baums“ ist ein wesentliches Rechtsprinzip, das den Schutz der Grundrechte im Gerichtsverfahren gewährleistet, indem sie die Unzulässigkeit rechtswidrig erlangter Beweise festlegt. Dieses Prinzip, das sowohl in der spanischen Rechtsprechung als auch im Gesetz verankert ist, besagt, dass jegliche aus einer rechtswidrigen Quelle abgeleitete Beweise für null und nichtig zu erklären sind. Die jüngste konsequente Anwendung dieser Doktrin durch die Zivil- und Strafkammer des TSJM, die zur Aufhebung eines Urteils aufgrund der Verletzung von Grundrechten führte, unterstreicht ihre Bedeutung für die Wahrung des ordnungsgemäßen Verfahrens und der Rechtsprechung.